Januar
Die Presse berichtet über den Plan der EU-Kommission, Atomkraft als klimafreundlich einzustufen. Laut eines Dokuments, das zwei Stunden vor dem Jahreswechsel per E-Mail bei den Mitgliedstaaten sowie dem Umweltausschuss des Parlaments einging, sollen „Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich [eingestuft werden].“ Absender der Mail ist die Generaldirektion für Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und die Kapitalmarktunion der EU-Kommission (DG FISMA).
Die EU-Taxonomie zu Arten der Energieerzeugung dient als Orientierungshilfe für Anleger und Investoren, um in nachhaltige Technologien zu investieren, und unterstützt die angestrebte Klimaneutralität Europas bis 2050. Der Spiegel erläutert, die Taxonomie sei eine „Art Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten.“ Sowohl die Deutsche Umwelthilfe als auch Teile der Bundesregierung reagieren kritisch auf die EU-Taxonomie. Bundesumweltministerin Steffi Lemke von den Grünen sagt: „Ich halte es für absolut falsch, dass die Europäische Kommission beabsichtigt, Atomkraft in die EU-Taxonomie für nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten aufzunehmen […]. Eine Energieform, die zu verheerenden Umweltkatastrophen führen könne und große Mengen an gefährlichen hochradioaktiven Abfällen hinterlasse, kann nicht nachhaltig sein“.
Zu Beginn des Jahres kommt es deutschlandweit zu Corona-Protesten, organisiert über Telegram und andere soziale Netzwerke. Mehrere zehntausend Teilnehmer*innen beteiligten sich an sogenannten Schweigemärschen, Lichterspaziergängen und Kundgebungen. Besonders viele Proteste gibt es im Osten Deutschlands und in Baden-Württemberg. Die Welt berichtet am 20. Januar, dass an einem Tag an 1046 Orten 188.000 Teilnehmende gegen die Corona-Maßnahmen der Politik demonstrieren. Zwar habe es in der Vergangenheit durchaus größere Protestbewegungen gegeben, doch sei die „immense Breite“ der Demonstrationen „beeindruckend und bedrückend“, so Protestforscher Dr. Piotr Kocyba. Auch die Bezeichnung der Demonstrationen der Organisatoren als „Spaziergänge“ ist, laut Marcel Fürstenau von der Deutschen Welle, eine Verharmlosung der zum Teil gewalttätigen Veranstaltungen. Jens Schneider kommentiert in der Süddeutschen Zeitung, dass nicht jeder Corona-Protest „gleich in die Finsternis“ führe. Er sieht die Proteste als Test, was eine funktionierende Demokratie aushalten müsse und „wo die Grenzen der Toleranz liegen. Es geht um das hohe Prinzip der Demokratie, gerade die Rechte jener zu achten, die einem fremd sind – diese Rechte aber gegen jene zu verteidigen, die sie aushöhlen wollen.“
Mitglieder der katholischen Kirche outen sich öffentlich als queer und wollen mit dem Hashtag #OutInChurch auf Diskriminierung gegenüber queeren Menschen aufmerksam machen. Die Initiative fordert eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts sowie den Zugang zu den katholischen Sakramenten sowie zu allen Berufsfeldern der Kirche unabhängig von der sexuellen Orientierung. Die Zeit berichtet, dass sich rund 20 katholische Verbände mit queeren Menschen katholischen Glaubens solidarisieren. Immer wieder kommt es zu queerfeindlichen Äußerungen. So machte beispielsweise im März der Vatikan deutlich, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht gesegnet werden dürfen, da sie nicht den Plänen Gottes entsprächen.
Februar
Trotz der anhaltenden Corona-Pandemie findet die Berlinale vom 10. bis zum 20. Februar in Berlin statt. Kulturstaatsministerin Claudia Roth betont, dies sei ein „Signal an die Filmbranche“, welche durch die Restriktionen der Pandemie starke Einbußen erlebte. Laut Roth haben „der Film und das Kino insgesamt“ gewonnen, denn mit der Ausrichtung der Berlinale als In-person-Veranstaltung hat „die 72. Berlinale unter wirklich schwierigen Umständen auch erneut Haltung gezeigt als das politischste unter den großen internationalen Filmfestivals.“ Bemerkenswert ist laut Autor Joseph Fahim der Fokus auf Filme, die Menschen mit arabischer Migrationsgeschichte in Europa portraitieren und so die problematische Beziehung Europas zum Nahen Osten im Rahmen des Filmfestivals thematisieren, wie beispielsweise Alain Guiraudies Nobody’s Hero, Adam Koloman Rybanskys Somewhere Over the Chemtrails oder Ulrich Seidls Rimini. Die Filme verdeutlichen die schwierige Beziehung Europas zu Menschen mit arabischen und muslimischen Wurzeln.
Am 10. Februar wird Dilan S. (17 Jahre) an einer Bahnhaltestelle in Berlin-Prenzlauer Berg von sechs Erwachsenen krankenhausreif zusammengeschlagen. Der Vorfall erregt bundesweit Aufmerksamkeit – vor allem wegen der darauf folgenden Kette von Fehldarstellungen. Die Polizei berichtet, es habe sich um einen „Streit“ darüber gehandelt, dass Dilan keine Maske trug. Dass es sich um eine rassistische Tat handelte, betont Dilan später in einem Instagram-Post.
Mitte Februar berichtet die Presse, dass sich die Lage in der Ukraine immer mehr zuspitzt. Die Situation rund um die drohende russische Truppenaufstockung an der Grenze zur Ukraine ist inzwischen äußerst angespannt. Mittlerweile sollen sich dort über 100.000 russische Soldaten aufhalten.
Am Morgen des 24. Februar greift Russland die Ukraine an. Das ukrainische Innenministerium spricht von einer Invasion Russlands und berichtet von Explosionen in mehreren Städten, unter anderem auch in der Hauptstadt Kiew. Die Invasion beginnt an mehreren Orten im Süden, Osten und Norden des Landes. Russlands aggressive Ukraine-Politik hat eine lange Vorgeschichte. So berichtet die Bundeszentrale für politische Bildung, dass der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow mitteilte, dass Russland schon Anfang Februar „um die 140.000 Soldaten in der Nähe der Ukraine stationiert habe.“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj veröffentlicht ein Video, in dem er sich in Kiew mit Politikern zeigt und versichert, dass die Ukraine verteidigt würde.
Die ukrainische Presse berichtet am 25. Februar von russischen Einheiten in der Hauptstadt Kiew, die sich laut Bürgermeister Vitali Klitschko im „Verteidigungsmodus“ befindet.
Drei Tage nachdem Russland die Ukraine angegriffen hat, verurteilt Kanzler Olaf Scholz in einer Rede den Angriffskrieg Russlands: „Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat der russische Präsident Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen. Aus einem einzigen Grund: Die Freiheit der Ukrainerinnen und Ukrainer stellt sein eigenes Unterdrückungsregime in Frage. Das ist menschenverachtend. Das ist völkerrechtswidrig. Das ist durch nichts und niemanden zu rechtfertigen.“ Die komplette Rede, in der Scholz die europäische Sicherheitsordnung, die Skrupellosigkeit Putins, die Sorgen und Ängste der Bürger*innen sowie die unglaubliche Ungerechtigkeit des Krieges betont, ist auf der Seite der Bundesregierung nachzulesen. In der Rede sichert Scholz der Ukraine zudem volle Unterstützung und somit auch Waffen aus Deutschland zu.
März
Auch international beobachtet die Presse, wie sich Olaf Scholz in Bezug auf den Ukrainekrieg verhält. The Atlantic berichtet am 1. März in einem Artikel mit dem Titel „The Sleeping Giant Awakens“, dass Scholz außenpolitische Tabus breche, welche bis zur Gründung der BRD zurückreichen würden. Scholz kündigte an, dass Deutschland seine Abhängigkeit von Russland als Gaslieferant beenden, 100 Milliarden Euro in das deutsche Militär investieren und sowohl Raketen als auch Panzer in die Ukraine liefern werde. Noah Barkin vom Atlantic kommentiert, dass jede einzelne dieser Entscheidungen ein „Erdbeben“ darstellen würde, denn zusammengefasst seien sie ein politischer Kataklysmus, der weder von Scholz als bekanntlich vorsichtigem Kanzler noch von der Koalition mit pazifistischen Wurzeln zu erwarten gewesen sei. Die „neue Ära“, die Scholz durch seine Rede ankündigt, findet auch international Beachtung.
Die Tagesschau berichtet Anfang März, dass etwa 1,4 Millionen Menschen aus der Ukraine auf der Flucht sind. Die Zahl der Kriegsflüchtlinge steigt weiter an. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) haben 787.300 Flüchtende in Polen Schutz gesucht, 228.700 seien nach Moldau geflüchtet, 144.700 nach Ungarn, 132.600 Menschen nach Rumänien und 100.500 seien in die Slowakei gegangen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR twittert: „Wenn es nicht ein sofortiges Ende des Konfliktes gibt, werden Millionen weitere Menschen wahrscheinlich gezwungen sein zu fliehen.“ Migrationsforscher Gerald Knaus hält es laut Tagesschau-Bericht für möglich, dass insgesamt zehn Millionen Menschen aus der Ukraine flüchten könnten. In Deutschland erwarte man etwa eine Viertelmillion Flüchtende.
Es ist in Europa eine große Bereitschaft zu verzeichnen, Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine Schutz zu bieten. So werden beispielsweise in Gemeinden in Deutschland ungewohnt schnell Wohnraum und Unterstützung zur Verfügung gestellt, wovon Geflüchtete aus anderen Ländern wie Syrien oder dem Kontinent Afrika nur träumen können. Eine dpa-Meldung aus der Region Altenkirchen etwa beschreibt, wie dort unbürokratisch neue Kita-Plätze speziell für ukrainische Kinder organisiert wurden – ganz anders als bei früheren Flüchtlingswellen.
Der Konstanzer Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht, Daniel Thym, betont im Spiegel, dass es kein Rassismus sei, bevorzugt Ukrainer*innen zu helfen: „Rassismus halte ich in diesem Zusammenhang für einen schwierigen Begriff. Natürlich spielt die geografische oder ethnische Herkunft der Geflüchteten eine Rolle. In der aktuellen Situation beobachte ich zwar in der Tat eine Ungleichbehandlung, aber ich sehe darin keine verbotene Diskriminierung.“ Weiter sagt er: „Unsere Rechtsordnung geht davon aus, dass die Welt in Staaten unterteilt ist – und dass wir nicht zu allen Staaten die gleichen rechtlichen Beziehungen haben. Deshalb können auch die Angehörigen eines Staates mehr Rechte in unserem Land haben als die eines anderen. Ein Beispiel: Ein Italiener darf heute ohne Weiteres nach Deutschland kommen und hier arbeiten. Ein Ägypter dagegen nicht. Manche bewerten das als Diskriminierung, sogar als Rassismus. Diesen Vorwurf kann man auch ethisch begründen. Dann muss man aber zugleich ablehnen, dass die Welt in Staaten geordnet ist, was de facto zu unterschiedlichen Lebenschancen führt. Doch das ist einfach die Realität.“ Eine weitere Realität ist es, wie die New York Times und andere Zeitungen berichten, dass People of Color, die die Ukraine aufgrund des Krieges verlassen wollen, Diskriminierung an der Grenze erfahren und an der Flucht gehindert werden.
Eine Chronik der Kriegsereignisse ist hier zu finden.
Schon 2021 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Alternative für Deutschland (AfD) als „extremistischen Verdachtsfall“ eingestuft, woraufhin die AfD geklagt hat. Das Verwaltungsgericht Köln hat die Einstufung der Partei als Verdachtsfall im März 2022 bestätigt. Die AfD ist gegen dieses Urteil in Berufung gegangen. Das Oberverwaltungsgericht in Münster verhandelt nun über die Einstufung.
April
Die Bundesanwaltschaft geht Anfang April mit etwa 800 Polizeibeamt*innen in 11 Bundesländern in 61 Immobilien gegen rechtsextremistische Vereinigungen vor. Es geht um insgesamt 50 Beschuldigte.
Die Razzien konzentrierten sich auf die Neonazi-Gruppen „Atomwaffen Division Deutschland“ (AWD), „Combat 18“ (C18) und „Knockout 51“ (K51). Die Gruppe „Atomwaffen Division Deutschland“ ist laut Ermittler*innen eine terroristische Vereinigung, die „offen rassistisch, antisemitisch“ und gewaltverherrlichend sei. Sie befürworte die Entfachung eines Rassenkrieges.
Die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht von einem „großen Erfolg“: „Uns ist heute ein harter Schlag gegen die rechtsextremistische und rechtsterroristische Szene gelungen.“
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist zu Besuch in Niger. Der Spiegel berichtet von der harten körperlichen Arbeit, die die einheimischen Frauen dort unter extremen klimatischen Bedingungen leisten. Die Klimakrise ist in Niger längst Realität, was auch Baerbock an mehreren Stellen betont: „Die Klimakrise betrifft uns alle, aber nicht alle gleich“.
In der von Russland angegriffenen Stadt Lwiw dokumentieren Historiker*innen unter großem Druck den Krieg, indem sie Dokumente sichern, Überlebende und Geflüchtete interviewen und Chatprotokolle archivieren. Taras Nazaruk vom Center for Urban History im ukrainischen Lwiw betont die politische Dimension von Geschichtsbildern im Krieg sowie Geschichte als wertvolle Ressource, „um über unsere aktuelle Lage zu sprechen. Geschichte gibt uns die Möglichkeit, darüber nachzudenken, was jetzt gerade passiert. Darüber kann man dann diskutieren.“
Die Historiker*innen in Lwiw begannen jedoch schon bald mit der „Notarchivierung“, um Perspektiven zu dokumentieren – einerseits um den Opfern des Krieges eine Stimme zu geben, andererseits um Dokumente für zukünftige Forschung zu schaffen. Natalia Otrishchenko beispielsweise verwendet Oral History, um Geschichten von Überlebenden und Geflüchteten zu dokumentieren. Oleksandr Makhanets arbeitet mit Fotograf*innen zusammen, die den Alltag des Krieges festhalten und Taras Nazaruk sammelt Chats in Messenger-Apps wie Telegram. Das Projekt setzt sich mit alten und aktuellen Fragen der Geschichtswissenschaft auseinander: Wie können flüchtige Quellen wie Chats bewahrt werden? Wie und wo werden riesige Datenmengen für zukünftige Forscher*innen gelagert und zugänglich gemacht? Wie wird die eigene Emotionalität und Subjektivität thematisiert?
Es gibt weitere Projekte wie das Ukrainian Archive, ein Programm von Mnemonic, einer gemeinnützigen, weltweit tätigen Organisation, die Menschenrechtsverletzungen digital dokumentiert. In Stanford ist Quinn Dombrowski als Tech-Spezialistin Mitbegründerin eines Online-Archivs zur Erhaltung der digitalen ukrainischen Kultur; im Archiv werden ukrainische Websites bewahrt.
Mai
Immer öfter kommt es zu Berichten in den sozialen Medien und Zeitungen von Schwarzen Geflüchteten aus der Ukraine, die von Rassismus an den Grenzen betroffen sind. In der Frankfurter Rundschau wird beispielsweise von drei kongolesischen Geschwistern berichtet, die aus Kiew nach Polen flüchteten und sowohl körperlich als auch verbal angefeindet wurden. In der TAZ kritisiert Jeff Kwasi Klein vom Verein EOTO (Each One Teach One), dass PoC, die aus der Ukraine Zuflucht in Polen oder Deutschland suchen, an den Grenzübergängen diskriminiert wurden. Was schon zuvor in den sozialen Medien zirkulierte, bestätigte sich vor Ort. Schwarze Geflüchtete „mussten stunden-, teils tagelang in der Schlange am Grenzübergang warten, während weiße Ukrainer*innen an ihnen vorbei durchgelassen wurden.“ Amnesty International berichtet von Diskriminierung gegenüber flüchtender Rom*nja, die als Flüchtlinge zweiter Klasse behandelt werden. Die rechtliche Lage für Geflüchtete aus der Ukraine, die dort beispielsweise mit einem Visum leben, ist noch nicht geklärt. Die Deutsche Welle betont, dass die Verpflichtung der EU-Mitgliedsstaaten zu Mindeststandards im Umgang mit ukrainischen Flüchtlingen sowie zur Förderung von Integrationsmaßnahmen nicht für Menschen ohne ukrainischen Pass gelten. Asylverfahren, die für viele Menschen aus anderen Kriegsgebieten Jahre dauern, sind für ukrainische Geflüchtete ausgehebelt; so „erhalten ukrainische Geflüchtete sofortigen Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Gesundheitsleistungen und Integrationskursen.“ Diese ungleiche Behandlung sorgt für Unmut und verdeutlicht die frustrierende Situation der Menschen, die sich auf unbestimmte Zeit in einer Warteposition befinden.
Juni
In der New York Times kritisiert die Autorin Jagoda Marinic die Untätigkeit des Bundeskanzlers Olaf Scholz, der, so Marinic, einen Großteil der Verantwortung trägt, Deutschland in Zeiten des Krieges anzuführen. In den Worten Marinics ist die Unentschlossenheit des Bundeskanzlers mehr als ein politisches Versagen: Sie schwäche die Entschlossenheit derjenigen, die sich aktiv gegen Russlands Angriffskrieg widersetzen, und fördere somit noch mehr Brutalität und Gewalt. Mehr als 100 Tage nach der Zeitenwende-Rede schreitet der Krieg weiter fort, doch anstatt etwas gegen den Krieg zu unternehmen, gäbe es lediglich zögerliches Verhalten.
Auch in Deutschland gibt es schon länger Vorwürfe, Olaf Scholz agiere zu ängstlich. Scholz hingegen verteidigt seine Ukraine-Politik als führungsstark.
492 Menschen werden mit Hilfe des Vereins Sea-Eye aus dem Mittelmeer gerettet, berichten der Spiegel und Bayerische Rundfunk im Juni. Das Schiff Sea-Eye 4 wartet nun auf die Zuteilung eines sicheren Hafens in Italien oder Malta. Noch immer steigt die Zahl der Geflüchteten aus Afrika. Der jüngste Bericht des Flüchtlingshilfswerks UNHCR verzeichnet 89,3 Millionen Menschen, die aufgrund von Krieg, Verfolgung oder Menschenrechtsverletzungen auf der Flucht sind, so der Spiegel. Diese Zahl ist doppelt so hoch wie vor zehn Jahren. Menschen aus der Ukraine, die aufgrund des russischen Angriffskrieges Schutz suchen, sind noch nicht mitgerechnet. Die Route über das Mittelmeer ist einer der gefährlichsten Fluchtwege der Welt, so der Bayerische Rundfunk. Trotzdem machen sich immer wieder Hunderte Menschen auf den Weg nach Europa.
Die Deutsche Welle veröffentlicht einen Artikel zum Thema Massensterben, welches uns alle interessieren sollte, doch das Aussterben der Arten verläuft leise und kaum wahrnehmbar. Die Situation ist dramatisch. Jeannette Cwienk, Journalistin mit dem Fokus Klima, Natur und Umwelt, erklärt ausführlich die Bedeutung von Biodiversität sowie den Grund des weltweiten Artensterbens und findet klare Worte: „[…] [D]ie Situation könnte kaum dramatischer sein: Schon bis 2030, so die Wissenschaft, könnte die Welt um rund eine Million Arten ärmer sein – alle zehn Minuten stirbt eine Art aus. Das ist fatal, denn eine artenarme Welt ist eine gefährliche Welt – auch für uns Menschen.“ Der Grund für das Artensterben sind unsere Lebens- und Wirtschaftsformen. Im Dezember findet die Weltnaturkonferenz in Montreal statt. Schon in den Vorverhandlungen „erklärten die rund 200 Vertragsstaaten unter anderem, dass sie künftig 30 Prozent der globalen Land- und Meeresfläche unter Naturschutz stellen wollen.“
Bei der documenta fifteen, der weltweit wichtigsten und einflussreichsten Ausstellung für zeitgenössische Kunst, kommt es zu einem „Antisemitismus-Eklat“. Kuratiert wurde diese documenta fifteen von dem indonesischen Künstlerkolletiv ruangrupa unter besonderer Berücksichtigung von Stimmen aus dem globalen Süden.
Die Antisemitismus-Vorwürfe ziehen Wechsel in der Direktion nach sich. Angela Dorn, Kunstministerin, fordert die Aufarbeitung der Antisemitismusvorwürfe. Mit dem Titel „Abhängen!“ betont Stefan Trinks in der FAZ: „Die ausschwärmenden Antisemitismuskunst-Detektive werden auf der Documenta 15 immer fündiger, von einem einzigen Ausrutscher kann inzwischen nicht mehr die Rede sein. Neben den unsäglichen anti-israelischen Vergleichen der im April 1937 von Nationalsozialisten ausgelöschten baskischen Stadt Guernica mit dem angeblich vom Staat Israel annihilierten Gazastreifen und seinen Einwohnern auf gleich mehreren Bildern des Palästinensers Mohammed Al Hawajiri tauchten in Kassel nun auch explizit antisemitische Stereotype auf.“ Gegenstimmen kritisieren die Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfs als Zensur antikolonialer Stimmen und Israel-Kritik.
Der Bundestag streicht das Werbeverbot für Abtreibungen §219a StGB. Die Mehrheit stimmte für die Streichung des Paragrafen, wobei die CDU/CSU und die AfD die Entscheidung ablehnen. Auch die internationale Presse berichtet über die Abschaffung des Paragrafen.
Der Ingeborg-Bachmann-Preis 2022 geht an die slowenische Autorin Ana Marwan. In ihrem Text Wechselkröte geht es um eine Ich-Erzählerin, die abgeschottet in der Natur lebt, auf den Postboten wartet und bis auf diesen und einen Gärtner keine weiteren Kontakte hat. In einem Pool entdeckt sie eine Kröte, die sie an der Donau wieder aussetzt. Gleichzeitig erfährt sie von ihrer Schwangerschaft. Der SWR kommentiert: „Ein klassischer Bachmanntext mit schön schwebenden Sätzen, der allerlei Tiermotive, Landschaftsbeschreibungen mit einer weiblichen Identitätssuche kombiniert.“
Juli
Die Presse berichtet von den Ergebnissen der TUI-Studie „Junges Europa 2022“, die Aufschluss darüber gibt, wie sich junge Erwachsene in Europa fühlen. Die Ergebnisse zeigen, dass der Klimawandel für junge Menschen in Europa die größte Bedrohung darstellt. Außerdem wird der Krieg in der Ukraine als Zeitenwende gesehen. Die Gesamtergebnisse können hier eingesehen werden.
Der Historiker und Afrikawissenschaftler Andreas Eckert rezensiert in der Zeit das Buch Brennpunkt Westafrika. Die Fluchtursachen und was Europa tun sollte des Soziologen Olaf Bernau – ein Buch, das aufgrund der aktuellen Fluchtbewegungen durch den Ukraine-Krieg besonders bedeutsam ist und die ungleiche Behandlung Schutzsuchender einordnet. Eckert schreibt: „Unter den zahllosen Menschen, die jüngst vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine flohen, befanden sich auch Studierende aus Westafrika. Sie waren jedoch in den europäischen Nachbarländern nicht sonderlich willkommen: Viele von ihnen berichteten über rassistische Schikanen und Gewalt bei ihrer Flucht nach Westen. Und plötzlich wurde eine europäische Realität wieder sichtbar: Afrikanische Migranten sind in weiten Teilen des Kontinents schon lange nicht mehr erwünscht. Gesellschaftliche Vorurteile und Ängste werden dabei befeuert durch im wissenschaftlichen Gewand daherkommende Szenarien, denen zufolge in den kommenden Jahrzehnten eine enorme, ständig wachsende Zahl unzufriedener junger Menschen auf der Suche nach Beschäftigung und sozialer Sicherheit von Afrika nach Europa drängen würde. […] Vor diesem Hintergrund nimmt nun der Autor die Migrationspolitik der EU auseinander, deren zentrale Mechanismen – Abschreckung, Abschiebungen, Vorverlagerung des Grenzregimes, die Verknüpfung der Entwicklungszusammenarbeit mit Bedingungen sowie die Bekämpfung der Fluchtursachen – er allesamt für gescheitert erklärt.“ Eckert betont, dass die differenzierte Analyse der Fluchtursachen einen optimalen Einstieg für das politisch und ideologisch aufgeladene Thema bietet. Die Komplexität des kolonialen Erbes sowie die aktuellen politischen Gegebenheiten, welche Menschen aus Westafrika dazu bewegen, nach Europa zu fliehen, werden, so weitere Stimmen aus der Presse, informativ miteinander verknüpft. Auf der Homepage des Soziologen können weitere Pressestimmen sowie Artikel und Texte zu antirassistischen Praktiken eingesehen werden.
Seit dem 12. Juli ist die Journalistin und studierte Politologin Ferda Ataman Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung. Eine ihrer primären Aufgaben ist es, Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, zu beraten, wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen und Empfehlungen zur Vermeidung von Diskriminierung auszusprechen. Julian Reichelt sowie Personen aus CDU, AfD, FDP und die BILD-Zeitung starteten nach der Bekanntgabe, dass Ataman Antidiskriminierungsbeauftragte werden sollte, eine Hetzkampagne und stellen sie als „muslimische Rassistin“ dar. Stefan Anpalagan schreibt in der Frankfurter Rundschau: „Die Verleumdung von Ferda Ataman und die Kampagne von CDU, AfD, Bild, Welt und vieler anderer Medien verwundern nicht. Sie sind ein Symptom für eine gesellschaftliche, politische und mediale Schieflage, in der Rassismus und Rechtsextremismus verharmlost und diejenigen verfolgt werden, die sich offen und deutlich gegen Menschenfeindlichkeit aussprechen. Man kann und muss Ferda Ataman kritisieren, ihre Eignung infrage stellen, ihre Expertise und ihre Erfahrung evaluieren. Was man aber in den vergangenen drei Wochen feststellen musste, ist eine konzertierte Rufmord-Kampagne.“
In einem Zeit-Artikel erörtern verschiedene Autor*innen ihre Erwartungen an die Antidiskriminierungsbeauftragte. Welche Baustellen es in der Gleichstellungspolitik gibt, wird im Tagesspiegel besprochen. Und hier gibt es noch ein Interview in der Zeit.
Mitte Juli kommt es aufgrund einer Hitzewelle zu Waldbränden in Europa, speziell in Portugal, Spanien und Frankreich. Die Waldbrände in Europa sind auch Thema in der internationalen Presse. Im Atlantic wird beispielsweise postuliert, dass die einst spekulativen Rekordtemperaturen nun zur Wirklichkeit gehören: „From speculative fiction to nonfiction in less than two years.“
Investitionen in Gas- und Atomstrom können künftig als umweltfreundlich klassifiziert werden. Das ergibt eine Abstimmung des Europäischen Parlaments für die sogenannte Taxonomie.
August
Umweltkatastrophen in Europa sind weiter Thema in der Presse. Aufgrund von Dürre und extrem hohen Temperaturen kommt es in vielen Ländern in Europa zu verheerenden Waldbränden. Das Ausmaß der Waldbrände ist fatal. 2022 gab es mehr Brände als jemals zuvor in einem Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen. Der Spiegel berichtet von einem Fischsterben in der Oder in nie dagewesenem Ausmaß, dessen Ursache noch ungeklärt ist.
Am 30. August stirbt Michail Gorbatschow mit 91 Jahren. Historiker Stefan Creuzberger führt im NDR ein Gespräch mit Journalist Philipp Cavert, der die Verdienste und kritischen Aspekte des Politikers zu Zeiten des Krieges in der Ukraine zusammenfasst. Cavert betont: „Im Gegensatz zu Putin hat Gorbatschow nicht auf Gewalt gesetzt. Er wollte kein Imperium, er wollte die Sowjetunion. Aber Gorbatschow hat außenpolitisch Putins Kurs gutgeheißen, er hat die Annexion der Krim verteidigt, gesagt, man dürfe die Krim nicht von Russland losreißen, sie sei ein Teil Russlands. Auch das gehört zu einer differenzierteren Betrachtung Gorbatschows.“ Creuzberger hebt die ambivalente Persönlichkeit Gorbatschows hervor: „Wir müssen ihn würdigen mit seinen Leistungen, die er zweifellos hat: Er hat sich diesen Friedensnobelpreis redlich verdient. Aber wir müssen ihn auch in seiner Ambivalenz sehen. 1990 bekam er den Friedensnobelpreis, 1991 hat er sich zeitweilig mit den Konservativen in der Sowjetunion verbündet, und das endete darin, dass wir einerseits den Putschversuch hatten, das endete teilweise auch darin, dass er in Litauen, in Lettland versuchte, das Freiheitsbegehren zeitweilig zu unterdrücken – auch mit einigen Toten, die das zur Folge hatte. Auch das ist Michael Gorbatschow, den man in seiner Widersprüchlichkeit sehen muss.“
Sechs Monate dauert der Krieg in der Ukraine schon an. In der TAZ schreibt Barbara Oertel über die Spuren, die dieser Krieg hinterlassen hat und welche Auswirkungen er auf künftige Generationen haben wird: „Diese sechs Monate Krieg haben Spuren hinterlassen. Sie haben weltpolitisch Koordinaten verschoben und alte Gewissheiten ins Wanken gebracht. […] Das Verhältnis zwischen Russ*innen und Ukrainer*innen ist nachhaltig vergiftet – Wladimir Putin sei Dank. Die Wunden zu heilen, dürfte Jahre, wenn nicht gar mehrere Generationen dauern.“ Matthias von Hein betrachtet bei seiner Bilanz in der Deutschen Welle die Energiepolitik sowie die Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine. Auch die Migrationspolitik hat der Krieg nachhaltig geprägt. In europäischen Staaten sind mittlerweile sieben Millionen Geflüchtete aus der Ukraine und weitere rund sieben Millionen Menschen sind in der Ukraine auf der Suche nach Schutz. Das Ausländerzentralregister verzeichnet rund eine Million Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland. Die Bundespolizei geht davon aus, dass täglich etwa 700 Schutzsuchende aus der Ukraine nach Deutschland kommen. Kinder und Jugendliche machen etwa 36 Prozent der im Ausländerzentralregister erfassten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aus. 74 Prozent der erwachsenen Geflüchteten sind Frauen und 36 Prozent sind Kinder und Jugendliche, so die Zusammenfassung der Bundeszentrale für politische Bildung.
September
Trotz steigender Migration nach Deutschland gibt es einen anhaltenden Fachkräftemangel. Eine deutsche Greencard soll die Einwanderung für ausländische Fachkräfte leichter machen. Das Ausmaß des Mangels an Arbeitskräften erläutert Herbert Brücker, Leiter des Forschungsbereichs Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und seit 2018 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin. Deutschland benötigt mehr Einwanderung, um einem Wohlstandsverlust vorzubeugen, so Brücker.
Zugleich berichten immer mehr Städte und Kommunen von einer Überlastung, denn die ankommenden Menschen müssen mit Kita- und Schulplätzen, Unterkünften, Beratungsangeboten oder Sprachkursen versorgt werden. Eine Reportage aus der Aachener Gegend in der Deutschen Welle verdeutlicht, dass Städte an ihre Grenzen stoßen und dass die Lage für das Verwaltungspersonal aufgrund der mangelnden monetären Hilfe herausfordernd und frustrierend ist und seitens der Politik nicht ausreichend reagiert wird.
Die CDU führt eine schrittweise Frauenquote ein. Ab 2023 sollen „bei Vorständen ab der Kreisebene ein Drittel der Posten mit Frauen besetzt werden, ab 2024 sollten es 40 Prozent und ab Mitte 2025 dann 50 Prozent sein.“
Nach dem Tod/Mord der Iranerin Mahsa Amini am 16. September 2022 werden die Proteste im Iran immer stärker. Zhina Mahsa Amini wurde wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Hidschāb-Gesetz von der iranischen Sittenpolizei festgenommen. Die Sittenpolizei überwacht die Einhaltung der Kleidervorschriften. Während Amini ab dem 13. September in Polizeigewahrsam war, fiel sie ins Koma und starb drei Tage später. Die Nachricht über den Mord verbreitete sich schnell und löste die ersten Demonstrationen aus. Im ganzen Land kommt es aktuell zu Protesten gegen die Sittenpolizei, die iranische Regierung, sowie die Unterdrückung der Rechte der Frauen und der im Land lebenden Kurdinnen und Kurden. Während der Proteste wurden 500 Menschen festgenommen und bisher zwölf Menschen getötet, eine Eskalation scheint zu drohen. Der iranische Staat reagiert mit Restriktionen: Das Internet wurde stark gedrosselt. Die Kommunikation nach außen sowie unter den Demonstrant*innen soll damit erschwert werden.
Die Alternative für Deutschland (AfD) gewinnt immer mehr Wähler*innen für sich. Die Welt berichtet, dass die AfD in Ostdeutschland aktuell stärkste Kraft ist. Dies geht aus dem sogenannten INSA-Meinungstrend hervor.
Oktober
Die Proteste im Iran halten an. Die iranisch-deutsche Journalistin Natalie Amiri schreibt in der Zeit über die Bedeutung der Proteste und die Hoffnung, die mitschwingt: „Sie tun es. Sie verbrennen ihre Kopftücher und schneiden ihre Haare ab, aus Protest gegen das Regime und aus Solidarität zu Mahsa Amini. Nicht nur in Teheran, in Amol, in Karaj, in Sari, in Kerman. Sie rufen: ‚Frau, Leben, Freiheit‘. Und ‚Tod der Diktatur‘.“ Die Bilder der Demonstrationen zeigen nicht nur eine brutale Gewalt gegen Demonstrierende, sondern auch Mut und Hoffnung, sich gegen das Herrschaftssystem und die Unterdrückung zu wehren. Auch die iranische Künstlerin Shirin Neshat schreibt im Magazin Monopol über die Demonstrationen, dass sie als „erste weibliche Revolution“ in die Geschichte eingehen könnte: „Der Tod von Mahsa Amini hat die tiefe Wut und Frustration der iranischen Frauen über eine Regierung zum Ausdruck gebracht, die ihre Körper als Schlachtfeld für ihre eigene politische, ideologische und religiöse Rhetorik benutzt hat.“
Aufgrund der gewaltsamen Reaktion der iranischen Regierung gegen die Demonstrierenden will die EU mit Sanktionen gegen den Iran vorgehen. In der Presse werden „das Schweigen des deutschen Kanzlers“ und fehlendes Engagement kritisiert.
Kim de l’Horizon erhält für den Roman Blutbuch den Deutschen Buchpreis 2022. Dass eine non-binäre Person für einen Roman ausgezeichnet wird, der den „Schmerz der Selbstfindung“ thematisiert, zeige die Lebendigkeit der deutschen Sprache, so Sabine Kieselbach in der Deutschen Welle. Literaturkritiker Björn Hayer betont, dass die Entscheidung nicht nur eine politische Dimension habe, sondern auch „ein Bekenntnis zu ästhetischer Radikalität“ darstelle. Radikal ist auch Kim de l’Horizons Performance bei der Verleihung des Buchpreises, als de l’Horizon sich aus Solidarität mit den Frauen im Iran die Haare abrasiert. In der New York Times liegt der Fokus auf der Spannung innerhalb der deutschen Sprache – in der meist das generische Maskulinum für allgemeine Bezeichnungen verwendet wird und in der die Grammatik das Genus vorgibt – und der Verleihung eines renommierten Preises an eine non-binäre Person.
November
Der britische Künstler Bansky hat ein Video auf Instagram veröffentlicht, in dem er sich zu mehreren Streetart-Werken in der Ukraine bekennt. Zu sehen sind gesprühte Kunstwerke auf vom Krieg zerstörten Häuserwänden.
Die Ampelkoalition möchte die Einbürgerung erleichtern: Das sogenannte Chancenaufenthaltsrecht soll Menschen, die in Deutschland als Geduldete leben, eine Perspektive geben. Personen mit einer Duldung können einen Aufenthaltstitel auf Probe und innerhalb von 18 Monaten gegebenenfalls eine dauerhafte Arbeitserlaubnis erhalten. Die SPD-Politikerin Nancy Faeser schreibt in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel über Deutschland als Land mit einer facettenreichen Einwanderungsgeschichte, weshalb es laut Faeser wichtig ist, das Staatsangehörigkeitsgesetz zu reformieren: „Nach Deutschland eingewanderte Menschen, die ein qualifiziertes Aufenthaltsrecht haben, sollen künftig nach fünf Jahren eingebürgert werden können statt wie bisher acht Jahre warten zu müssen. Wer besonders gut integriert ist, kann diesen Zeitraum auf drei Jahre verkürzen – Menschen, die zum Beispiel sehr gut Deutsch sprechen, in Schule oder Beruf herausragende Leistungen erzielen und sich ehrenamtlich engagieren. Leistung soll sich lohnen.“ Die Pläne für erleichterte Einbürgerung stoßen bei der CDU/CSU auf Kritik.
Dezember
Vom 07. bis 19. Dezember treffen sich Vertreter*innen aus rund 200 Ländern zur Weltnaturkonferenz in Montreal. Ziel ist, einen neuen globalen Rahmen für biologische Vielfalt zu beschließen und den Fokus auf dessen Umsetzung zu legen. In der Abschlusserklärung wurde folgendes festgelegt: Mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen sollen bis 2030 unter Schutz stehen; es soll mehr in den Schutz der Artenvielfalt investiert werden, wobei reichere Länder ärmere finanziell unterstützen müssen. Kritik äußern verschiedene Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace, da der Entwurf nicht ambitioniert genug sei und die Ziele zu weit in der Zukunft lägen.
Die Polizei stürmt Wohnungen von Beschuldigten, die der Reichsbürgerszene angehören und einen Staat nach dem Vorbild des Deutschen Reichs von 1871 errichten wollen. Der Begriff „Reichsbürger“ dient vor allem der sprachlichen Abgrenzung von „Bundesbürgern“, da sich die Anhänger der Ideologie nicht als Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland begreifen, sondern vielmehr die Existenz der Bundesrepublik als legitimer Staat bestreiten. Den Mitgliedern wird vorgeworfen, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben.
Der Begriff „Zeitenwende“ wird zum Wort des Jahres gewählt. Bundeskanzler Olaf Scholz verwendete das Wort in seiner Rede kurz nach dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Scholz sprach in seinen Reden im Jahr 2022 mehrfach von einer Zeitenwende. Zudem gab die Bundesregierung eine Broschüre mit dem Titel „Reden zur Zeitenwende“ heraus. Der Begriff Zeitenwende ist nicht nur ein Symbol für die politische Neuausrichtung der Außenpolitik geworden, sondern markiert auch ein Gefühl der „emotionalen Wende“.