2016

Im Jahr 2016 zeigt sich ein Rückgang der Flüchtlingszahlen auf Grund von Hilfsprogrammen, internationalen Initiativen, verstärkten Grenzkontrollen und zunehmend aufkommenden nationalistischen Gefühlen. Laut dem Jahresbericht der Welt wurden 200.000-305.000 neue Asylbewerber in Deutschland bis November 2016 erfasst, fast 600.000 weniger als in 2015. Jedoch wurden 745.545 Asylanträge ausgefüllt, 268.869 mehr als noch im Vorjahr. Neben der Zunahme der Anträge steigt auch die Anzahl abgelehnter Asylanträge im Vergleich zu 2015. So erklärt Innenminister Thomas de Maizière (CDU), Kabinettsmitglied von Angela Merkel, „Es ist gelungen, das Migrationsgeschehen zu ordnen, zu steuern“.

Bis Ende Oktober sind 206.200 in Deutschland lebende Personen theoretisch dazu aufgefordert Deutschland zu verlassen, 153.700 von ihnen haben jedoch einen Aufschub bekommen. 23.750 Abschiebungen, fast 3000 mehr als im Jahr zuvor (20.888), wurden bis Ende November vorgenommen. Circa 55.000 kehrten freiwillig mit finanzieller Unterstützung des deutschen Staates in ihr Herkunftsland zurück. 19.720 Personen wurde in den ersten elf Monaten die Einreise nach Deutschland verwehrt.

Einem Bericht des Spiegels zu Folge steigerte das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) seine Effektivität in 2016, indem die Mitarbeiterzahl von 2.300 Anfang 2015 auf 8.000 Mitarbeiter bis September 2016 aufgestockt wurde. Dennoch stieg auch nach dieser merklichen Personalaufstockung die Anzahl der zu bearbeitenden Asylanträge auf über eine halbe Million.

Am 1. Januar 2016 bestiehlt und belästigt eine Gruppe, größtenteils aus Irak, Syrien und Marokko stammender Immigranten Dutzende von Frauen während der Silvesterfeier im Bereich der Domplatte und des Kölner Hauptbahnhofs.

Es kommen Fragen auf nach den Herkunftsländern der Täter, ob die Übergriffe vorsätzlich begangen wurden und ob es irgendeine Verbindung zu Flüchtlingen gibt. Die Kommunikation zwischen Polizei, den Medien und der Öffentlichkeit ist laut Berichten ineffizient und endet mit dem erzwungenen Rücktritt von Kölns Polizeichef Wolfgang Albers. Obwohl die Polizei verkündet, dass es wenige Hinweise auf eine Verbindung zu Flüchtlingen gibt, verknüpfen eine Reihe von Regierungsvertretern, unter ihnen Kanzlerin Angela Merkel, die Geschehnisse der Silvesternacht mit der anhaltenden „Flüchtlingskrise“ und fordern härtere Gesetze, schnellere Abschiebungen und eine eindeutige Reaktion des Rechtsstaats.

Am 3. Februar stellt das Bundeskabinett das Asylpaket II vor. In diesem Paket (zur Gesetzesregelung) ist vorgesehen, dass die Familienzusammenführung unterbunden wird, wenn der Asylantrag nicht den Anforderungen entspricht, auch wenn der Antragsteller noch nicht abgeschoben wurde, weil ihm Folter oder Verfolgung im Herkunftsland drohen. Eine Ausnahme gilt für syrische Flüchtlinge. Das Paket soll außerdem den Ablauf von Asylantragsverfahren effizienter gestalten und Marokko, Algerien und Tunesien werden zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt. Das Paket wurde am 25. Februar beschlossen.

Am 4. Februar nimmt Angela Merkel an der Londoner Konferenz „Supporting Syria and The Region“ teil. Deutschland verpflichtet sich zur Zahlung von 2,3 Milliarden, über 3 Jahre verteilt, um das Problem der „Flüchtlingskrise“ zu lösen. 1,2 Milliarden werden den Hilfsorganisationen sofort zur Verfügung gestellt, 1,1 Milliarden für 2017 und 2018 zugesichert. Zusätzlich vergibt Deutschland 200 Millionen Euro an das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und sein Programm „Unterstützung der Zukunft Syriens und der Region“, dessen Ziel es ist Jobmöglichkeiten für Flüchtlinge im Nahen Osten zu schaffen. Das Projekt „Wir Zusammen“ wird gegründet mit anfangs 36 Unternehmen, die in die Schaffung von Arbeitsplätzen und Initiativen zur Unterstützung von Flüchtlingen investieren. Bis September hat das Projekt 1800 Praktika organisiert, 500 Ausbildungsplätze und mehr als 400 Vollzeitjobs geschaffen. Angela Merkel erklärt im selben Monat bei einem Unternehmertreffen, dass sie diese Zahlen als zu gering erachtet.

Kurz vor dem EU-Gipfel in Brüssel am 18. und 19. Februar verkündet Angela Merkel in einem Statement, mit Hilfe von Programmen und Infrastrukturmaßnahmen (im Krisengebiet) und dem Abschluss eines Abkommens zwischen der EU und der Türkei, die Flüchtlingszahlen zu senken. Im Rahmen des Gipfels werden eine Reihe an Zielen beschlossen: Grenzen müssen verstärkt und geschützt werden, die NATO und FRONTEX (europäischer Grenzschutz) sollen bezüglich Aufklärung und Kontrolltätigkeiten kooperieren und der EU-Türkei-Aktionsplan wird wiederum als Priorität zur Verhinderung von  Schleppernetzwerken betont.

Im Februar geht die Mitgliederzahl von PEGIDA zurück. Noch 2015, genau ein Jahr zuvor hatte die Gruppe die Straßen Dresdens mit 25.000 Protestierenden gefüllt, die gegen Migranten demonstrierten. Ende 2016 beläuft sich die Anzahl der PEGIDA-Anhänger auf ein paar hundert.

Am 24. Februar veranstaltet Österreich die Konferenz “ Managing Migration Together (Einwanderung gemeinsam bewältigen), ein Treffen der Westbalkan-Staaten, unter ausdrücklichem und heftig diskutiertem Ausschluss von Deutschland, Griechenland und Vertretern der EU.

Am 8. März treffen sich Vertreter der EU und der Türkei um über eine Vereinbarung zu beraten, welche 12 Tage später unterzeichnet wird. Die Vereinbarung folgt dem „one-in, one-out“ Prinzip. Für jeden syrischen Migranten, der auf Grund unzureichender Dokumente oder eines abgelehnten Asylantrags in die Türkei abgeschoben wird, soll ein Syrer aus der Türkei in die EU umgesiedelt werden. Außerdem soll die EU die Verteilung des 3 Milliarden Euro Hilfspakets für die Türkei beschleunigen und das Angebot der Türkei, der EU beizutreten, im Juli noch einmal überdenken. Die Umsetzung des Abkommens hapert; nur 1.187 Migranten werden bis Anfang Dezember in die Türkei zurückgeführt. Am 9.März schließen Slowenien, Serbien, Kroatien- die Länder des Migrationskorridors –ihre Grenzen um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Nur Flüchtlinge mit gültigen Papieren und Visa dürfen durchreisen und müssen das Zielland zu ihrem gewünschten Aufenthaltsort erklären. Das führt dazu, dass 60.000 Migranten und Flüchtlinge in Griechenland festsitzen oder in ein Abschiebungswirrwarr zwischen verschiedenen Ländern geraten. Auch wenn das Flüchtlingsaufkommen im Migrationskorridor abnimmt, werden andere, gefährlichere Routen, einschließlich des Mittelmeers genutzt. Angela Merkel verkündet, dass Deutschland die Zahl der möglichen Asylbewerber nicht begrenzen wird. Eine Aussage für die sie zunehmend unter politischen Druck gerät.

Trotz der Übergriffe in Köln ist bis März 2016 ein Rückgang um 18 % bei von Immigranten begangenen Straftaten zu verzeichnen. Stattdessen werden immer häufiger Immigranten zu Zielen und Opfern von hassmotivierten Gewaltübergriffen und Anschlägen. Es geschehen 3.533 Übergriffe auf Flüchtlinge oder Flüchtlingsunterkünfte, davon werden 921 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte vom BKA aufgenommen, 857 davon begangen durch die radikale Rechte.

Im April macht BAMF-Direktor Jürgen Weise ein weiteres Problem der Verwaltung zum Thema: Integration und Bildung. Seinen Schätzungen zu Folge werden 200.000 Plätze in Integrationskursen fehlen in 2016. Um dem Mangel im Bildungssystem entgegen zu wirken erhöht die Bundesregierung angesichts völlig überfüllter Klassen die Bezahlung für Lehrkräfte ab 1. Juli um einen Anreiz für Lehrkräfte zu schaffen.

Am 9. April ertrinken ungefähr 500 Flüchtlinge aus Somalia, Äthiopien, Ägypten, Sudan und Syrien als ein Schmugglerschiff verunglückt. Im Dezember beschreibt ein Bericht von BBC und Reuters ausführlich, dass weder die Schmuggler noch irgendein politisches Organ zur Verantwortung gezogen wurden, für dieses Schiffsunglück mit den meisten Todesopfern im Mittelmeer im Jahr 2016.

Am 23. Juni stimmt das Vereinigte Königreich über einen Austritt aus der Europäischen Union, was auch “Brexit” gennant wird. Im Gegensatz zu den Medienerwartungen wird der Volksentscheid verabschiedet, eine Resultat, die Schockwellen europa- und weltweit auslöst. Im Nachhinein schreibt die herrschende Meinung (auch in Deutschland) das Überraschungsergebnis die Ausländerfeindlichkeit zu, die als Reaktion auf die liberale, von Angela Merkel verfochtener Asylpolitik der Europäischen Union.

Künstler, besorgt über fremdenfeindliche Gegenreaktionen und die Zurückhaltung seitens der Regierung, unternehmen den Versuch das Thema auf provokante Art und Weise aufzugreifen. Im Juli kündigt das in Berlin sitzende Centre for Political Beauty „Eating Refugees“ an, ein Performance-Stück als Protest gegen die EU Restriktionen bezüglich der Einreise ohne Visa. Hierfür sollen 100 Flüchtlinge aus der Türkei eingeflogen werden um von Tigern gefressen zu werden. Die Performance findet niemals statt. Künstler, vor allem in Berlin, setzen sich mit sich in Deutschland befindenden syrischen Künstlern in Kontakt um Ihnen zu helfen sich in die deutsche Kulturszene zu integrieren und ihren Stimmen mehr Gehör zu verschaffen, darunter auch immigrierte Musiker wie die Band Musiqana und das Syrian Expat Philarmonic Orchestra.

Am 18. Juli verübt ein minderjähriger, registrierter Flüchtling eine Terrorattacke in einem Zug auf der Strecke nach Würzburg. In der folgenden Woche, am 24. Juli sprengt sich ein 27-jähriger syrischer Asylbewerber in einer Weinbar in Ansbach in die Luft. Diese zwei Attacken verschärfen die Debatte über Flüchtlingspolitik und werfen Fragen nach der Verbindung zwischen Einwanderung und Terrorismus auf. Diese Fragen kommen allerdings nicht nur nach Vorfällen im Inland auf, sondern auch nach den terroristischen Attacken in Brüssel im März und in Nizza im Juli. Ebenfalls im Juli sorgt ein Amoklauf in München für Entsetzen und erneute Diskussionen.

Anfang August werden türkische Beamte aus Griechenland weggeschickt, die sich dort zur Unterstützung der griechischen Migrationsbehörden als Zeichen der Intensivierung der Migrationspolitik zwischen Türkei und EU aufhielten. Innenminister der Parteien CDU und CSU veröffentlichen ein gemeinsames Statement, in dem sie sich für ein Burka-Verbot in öffentlichen Räumen aussprechen.

Während die Mitgliederzahlen bei PEGIDA zurückgehen, hält der Aufschwung der AFD weiter an. Im September zieht die AfD als zweitstärkste Kraft, nach der SPD, in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern ein und verdrängt die CDU mit einem Rekordtief von 19% auf den dritten Platz. Die AfD hat zwar keine offizielle Verbindung zu PEGIDA, viele Ihrer Mitglieder können aber auch als PEGIDA-Anhänger gezählt werden. Die AfD zieht in die Landesparlamente von Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg ein und in den Medien ist die herrschende Meinung, dass die ablehnende Haltung der AfD bezüglich der Migration verantwortlich für die Verluste von CDU und SPD ist.

Im September findet ein weiterer EU-Gipfel statt, der in dem inoffiziellen, pessimistisch-realistischen Slogan der „flexiblen Solidarität“ mündet und die Entwicklung weg von der gemeinschaftlichen Interessenspolitik der EU bezüglich der „Flüchtlingskrise“ hin zur Vertretung der Eigeninteressen der Nationalstaaten kennzeichnet.

Anfang Oktober unterzeichnet die EU eine Vereinbarung mit Afghanistan, die die Schaffung finanzieller Anreize für Flüchtlinge und Immigranten, die nach Afghanistan zurückkehren, vorsieht. Die Übereinkunft führt zu Protesten seitens der Linken, da diese der Meinung sind, Afghanistan sei noch nicht sicher. Das Ziel des Programms sind um die 12.000 abgeschobenen Asylbewerber. Deutschland investiert in den nächsten 3 Jahren 150.000 Millionen Euro in das Programm „Perspektive Heimat“. Für Diskussionen im Oktober sorgen der Suizid eines terrorverdächtigen Syrers in Untersuchungshaft in der JVA Leipzig und Versäumnisse der Behörden.

Am 9. November wird Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt in einem Wahlergebnis, das weltweit für Schock und Empörung sorgt und von den deutschen Medien sofort heftig kritisiert wird. An dem künftigen Präsidenten Trump Der Spiegel wird das erste vieler fratzenhaften Titelbilder gewidmet, dessen Schlagzeile “das Ende der Welt (wie wir sie kennen)” ankündigt und enthält mehrere Kommentare zur Gefährdung der liberale Demokratie durch eine Trump-Präsidentschaft. Während der Kampagne hat der Republikaner über seine Gegnerin, die Demokratin Hillary Clinton bezüglich ihre gemäßigtere Haltung zur Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik bemerkt, dass sie “die Angela Merkel von Amerika sein will.”

Am 19. Dezember steuert Anis Amri, ein abgelehnter tunesischer Asylbewerber, einen Sattelzug in einen Weihnachtsmarkt an der Kaiser Wilhelm Gedächtnis Kirche. Dies wird später als Terroranschlag eingestuft, der die Diskussionen bezüglich der „Flüchtlingskrise“ erneut aufflammen lässt und Rufe nach strengeren Grenzkontrollen und einer strikteren Regierungsführung laut werden lässt. Im Oktober 2017 berichtet Der Spiegel über Sonderermittlungen bei der Berliner Polizei und anderen Behörden des Justizwesens. Die Schuld für den Anschlag wird sowohl der Polizei, wegen Fehlern bei der Überwachung einer Person besonderen Interesses, als auch den zuständigen Behörden angelastet, die nicht in der Lage waren Amri wegen Drogenbesitzes und –Handel effektiv aus dem Verkehr zu ziehen.

Bis Ende 2016 sind mindestens 5000 Flüchtlinge im Mittelmeer verunglückt, was 2016 zum bisher tödlichsten Jahr in der Geschichte der europäischen Flüchtlingspolitik macht.