Hörspiele zum NSU-Prozess: Teil I – “Saal 101”

Saal 101: ARD-Dokumentarhörspiel über den NSU-Prozess | NDR.de - Kultur -  Hörspiele

The 2021 election year in Germany is destined to be a year of heated political debates on the country’s past and future. While right-wing extremism is still on the rise in some parts of Germany, politicians and legal practitioners are more determined to combat xenophobia and violence than ever. In a new three-part series for the MGP blog, Monika Preuß, research collaborator at the Technical University of Dortmund, directs our attention at a radio documentation of Germany’s largest trial of right-wing terrorism to this date.

You can read an English translation of this text here.

Diese kurze Serie aus drei Blogbeiträgen nimmt Hörspiele in den Blick, die sich mit den Verbrechen des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund), aber insbesondere auch mit den Versäumnissen in der Aufklärung und dem Gerichtsverfahren auseinandersetzen. Insgesamt wurden bereits acht Hörspiele produziert. Dies zeigt, dass neben Filmen und Fernsehdokumentationen (siehe dazu die Postings von Kumars Salehi vom 20.1 und 21.1) Hörspiele ein wesentliches Element der künstlerischen Auseinandersetzung mit den NSU-Verbrechen und dem NSU-Prozess sind. Das Spektrum der Hörspiele reicht von einem groß angelegten „dokumentarischen“ Hörspielprojekt (Blog Teil I) über Hörspiele, die sich im besonderen Maße mit akustischen Dimensionen des Prozesses bzw. der Vielstimmigkeit und gleichzeitigen Sprachlosigkeit des gesellschaftlichen Diskurses beschäftigen (Blog Teil II) zu Hörspielen, die sich mit einzelnen Morden und Verbrechen auseinandersetzen und die die Perspektive der Opfer in den Vordergrund stellen (Blog Teil III).

Der rechte Terror des Nationalsozialistischen Untergrundes ist viele Jahre unentdeckt geblieben. Von 2000 bis 2006 wurden neun Personen mit türkischem und griechischem Hintergrund und eine Polizistin ermordet. Zunächst ermittelten Behörden in Richtung Drogen- oder organisierte Kriminalität und vernachlässigten Hinweise auf einen rassistischen Hintergrund. Erst als sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem erfolglosen Überfall erschossen und Beate Zschäpe sich der Polizei stellte, nachdem sie die gemeinsame Wohnung angezündet hatte, kamen die Zusammenhänge ans Licht. Dementsprechend war der NSU Prozess vom 6. Mai 2013 bis 11. Juli 2018 mit über einhundert Beteiligten der größte Prozess gegen Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik und wurde von der Öffentlichkeit und den Medien intensiv verfolgt. Insbesondere auch die Rolle des Verfassungsschutzes wurde hinterfragt. Nicht alle Aspekte konnten aufgeklärt werden und der Prozess zog sich auch durch viele Verfahrensanträge und Konflikten zwischen der Hauptangeklagten, Beate Zschäpe und ihren Anwälten in die Länge. Beate Zschäpe wurde wegen Brandstiftung, Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und der Mittäterschaft bei zehn Morden sowie bei Banküberfällen und zwei Sprengstoffanschlägen zu lebenslanger Haft verurteilt, die Mitangeklagten zu Gefängnisstrafen zwischen zweieinhalb und zehn Jahren.

Das neueste Hörspiel „Saal 101 – Dokumentarhörspiel zum NSU-Prozess”, das von zehn Rundfunkanstalten unter der Leitung des Bayerischen Rundfunks produziert wurde, basiert auf den Mitschriften und Kommentaren der Gerichtsreporter der ARD und des Deutschlandfunks. Sowohl SchauspielerInnen als auch teilweise die GerichtsreporterInnen selbst sprechen die Mitschriften. Ergänzt wird dies durch kurze Interviewsequenzen mit der Chefdramaturgin des Hörspiels und den GerichtsreporterInnen ergänzt. Es ist nach dem „Saal A 101“ im Oberlandesgericht München benannt. In diesem fand der Prozess statt. Das Hörspiel ist in 24 Abschnitte aufgeteilt. Jeder Teil ist um die 30 Minuten lang. Mit einer Gesamtlänge von zehn Stunden und 23 Minuten ist es das längste Hörspiel über den NSU Prozess. Das Hörspiel ist nicht chronologisch organisiert. Vielmehr sind die einzelnen Teile unter thematischen Gesichtspunkten zusammengestellt. So fokussieren manche auf die angeklagten Personen, manche auf die Morde und Sprengstoffanschläge. Andere beleuchten Lebensabschnitte von Beate Zschäpe, Uwe Bönhardt und Uwe Mundlos und ihr Leben im Untergrund. Auch auf die Rolle der verschiedenen Verfassungsschutzbehörden wird in zwei Teilen eingegangen. 

Im ersten Teil “Die Mitschriften” wird der Prozess der Hörspielentstehung thematisiert. Dieser übernimmt somit auch eine poetologische Funktion. Sowohl direkt, als auch indirekt durch die Gestaltung des Hörspiels wird der narrative Prozess offenbart, der sich in der Zusammenstellung der Abschnitte auf Basis von über 6000 Seiten Mitschriften vollzieht. So werden die narrativen Strukturen, die hinter jeder Dokumentation stehen selbst thematisiert (vgl. z.B. 1/24, 01:56ff.). Die Gerichtsprozessen eigene Zeitlichkeit, die sich durch 438 Verhandlungstage, Anträge und Verhandlungspausen und -unterbrechungen auszeichnet, ist dabei ein wiederkehrendes Thema auf verschiedenen Ebenen. So gestalten kleine akustische Zwischenspiele, die an den unregelmäßigen Schlag einer Pendeluhr erinnern, die Übergänge zwischen den einzelnen Abschnitten. 

Auch die medialen Umformungen „Von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit und wieder zur Mündlichkeit“ (1/24, 10:03ff.), die sich dadurch ergeben, dass im deutschen Justizsystem keine elektronischen Aufzeichnungen von Bild oder Ton der eigentlichen Gerichtsverhandlung erlaubt sind, wird im Hörspiel selbst thematisiert.

David Mayonga, Musiker und Buchautor, der sich selbst als „Afro-Bajuware“ (1/24, 00:20) bezeichnet, kontextualisiert das Hörspiel als einen Beitrag dazu, sich jenseits der Kritik, dass der Prozess zu lang gewesen sei, mit diesem und den Strukturen von rechten Netzwerken und den Gefahren, die von ihnen ausgehen, auseinanderzusetzen. Er führt in die jeweiligen Teile thematisch ein und verweist manchmal auch auf andere Episoden. Er spricht die Hörer direkt an und nimmt diese durch die „Wir“-Anrede mit auf einen Gang durch die einzelnen Teile des Hörspiels und der Auseinandersetzung mit den sich aufdrängenden Fragen, z.B. wie die Zusammenhänge der Mordserie so lange unentdeckt bleiben konnte.

Der Ansatz fokussiert auf den Gerichtsprozess und die behördliche sowie gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem. Es rückt weniger einzelne Verbrechen in den Vordergrund, sondern bemüht sich um ein Bild des Ganzen. So entstand ein Hörspiel, dass viele Elemente der medialen Berichtserstattung wiederaufleben lässt, durch die Ansprache des Hörers und die themenorientierte Zusammenstellung aber auch neue Eindrücke und Einsichten ermöglicht.

Das Hörspiel wurde zuerst am 19.02 und 20.02.2021 gesendet. Bis zum 19.02.2022 ist es möglich, das Hörspiel anzuhören und herunterzuladen: https://www.br.de/mediathek/podcast/saal-101/847. Es ist auch auf CD veröffentlicht.

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