‘Schriftstellerin zu sein und in seinem Leben anwesend zu sein, ist für mich eins’: Ein Gespräch mit Terézia Mora

Anke Biendarra

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Abstract:

A conversation with the author Terézia Mora. The following interview was conducted in Berlin on September 11, 2007.


Terézia Mora was born in 1971 in Sopron, Hungary, in the border region close to Austria, where she grew up as part of the German-speaking minority. When the borders were crumbling in the Eastern bloc, Mora made her way to Berlin, where she has lived since 1990. She studied Hungarian studies and theater studies at Humboldt University and script writing at the German Film and Television Academy. Since 1998 she has worked as a freelance author writing prose, plays for the stage, and scripts for television. She is also a well-known literary translator from the Hungarian. Mora has won a range of prizes and stipends for her literary work and translations. Her first collection of stories, Seltsame Materie (Rowohlt, 1999), garnered the Ingeborg Bachmann Prize (1999) and the Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis (2000). Alle Tage (Luchterhand, 2004), her highly acclaimed first novel, was awarded the Prize of the Leipzig Book Fair in 2005.

The following interview was conducted in Berlin on September 11, 2007. Terézia Mora and I met at her newly established workspace in Prenzlauer Berg, in a quiet, nicely renovated Hinterhaus. The signs of Mora’s recent move were still visible in the unpacked boxes and the general emptiness of the space. We talked for about ninety minutes about her biography, her work as a translator, and her own writing. The date of the meeting was coincidental, yet 09/11 did come up during the discussion, as an example that illustrates how the roles of authors as public intellectuals are being renegotiated in a younger generation of writers.

My travel to Berlin and several author interviews there were made possible by a faculty research grant from the International Center for Writing and Translation at the University of California, Irvine.

Anke Biendarra: Zunächst wollte ich Sie bitten, etwas über Ihre intellektuelle Biografie zu sagen. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Terézia Mora: Ich war 26 Jahre alt, als ich das erste Mal so einen Satz schrieb, den ich ‚literarisch‘ meinte. – Was war davor? Ich empfand mich selbst als absolut sprachlos, zwar durchaus mit dem Bedürfnis, und sogar mit dieser Vision, dass mein Beruf eigentlich die Schriftstellerei wäre. Aber ich traute mich nicht, und konnte mir nicht vorstellen, wie es mir möglich sein sollte, als Schriftsteller loszulegen, zu reden. Das war ein sehr quälender Prozess. In der Retrospektive empfinde ich es so: wenn ich es nicht geschafft hätte, irgendwann die Kurve zu kriegen, wäre ich ein vollkommen verlorener Mensch, dann hätte ich das nicht gefunden, was ich in meinem Leben machen muss. Schriftstellerin zu sein, und in seinem Leben anwesend sein ist für mich eins. Das ist eine sehr existentielle Sache: ich schreibe nicht, weil ich es kann, sondern weil ich es muss.

Sie hatten also schon früh den Wunsch, Schriftstellerin zu werden?

Mein Selbstbild war damals – also in jungen Jahren – so: Literatur, oder überhaupt Bücher, sind das Höchste, was ein Mensch in seinem Leben erreichen kann, und die tollste Sache, mit der es sich zu beschäftigen lohnt. Aber ich dachte, mir würden einfach von Geburt an die Voraussetzungen fehlen: ein Schriftsteller sei kein Mädchen vom Dorf, irgendwo hinter Gottes Rücken, aus einer nicht-intellektuellen Familie. Ich hatte das Gefühl, ich kann das alles niemals aufholen. Ich habe lange gebraucht, bis ich erkannt habe, dass das selbstverständlich Blödsinn ist. Um es mal so auszudrücken: zum Schriftsteller wird man von Gott gemacht, und nicht von allem anderen. Man muss kein philosophisch gebildeter Autor sein; man muss noch nicht einmal besonders belesen sein. Denn es kann ja Schriftsteller geben, die Naturtalente sind.

Welche Rolle spielen Ihre anderen professionellen Tätigkeiten, zum Beispiel die Übersetzungen? Sie haben auch Drehbuchschreiben gelernt.

Die Übersetzerei wirkt sehr unterstützend für das Prosaschreiben. Sie dient auch dazu, das Handwerk zu lernen: was wird überhaupt geschrieben, und wie hat er oder sie das gemacht? Ich lerne sehr viel von den Leuten, die ich übersetze.

Nachdem ich mich allerdings jetzt als Romanautorin definiere, muss ich durchaus andere Romane übersetzen, um etwas über den eigenen Roman zu erfahren. Das ist toll, und auch sehr entspannend. Wieso? Weil ich da sehr wenig Verantwortung habe. Ich kann das machen, was als eines meiner Talente immer schon feststand: ich kann mit Sprache umgehen. Drehbuchschreiben hingegen ist sehr anstrengend für mich, denn ich bin beim Plotting nicht sehr gut. Es geht dabei nur sehr wenig um Sprache. Wenn ich Drehbücher schreiben würde, müsste ich mich auf den Bereich meiner Fähigkeiten konzentrieren, der am schwächsten ausgebildet ist. Das würde mir einfach mehr Energie rauben, als ich bereit bin, dafür herzugeben.

War das Drehbuchschreiben dann der Versuch, zunächst einen ‚Brotberuf‘ zu finden, aus der Unsicherheit heraus, sich vielleicht nicht als Schriftstellerin äußern zu können?

Nein, ich war schlicht auf dem falschen Dampfer. Insbesondere Frauen, die sich nicht zutrauen, die erste Geige zu spielen, denken, dann spiel’ ich halt die zweite, dann werde ich Dramaturgin. Das war der erste Berufswunsch, und so bin ich zum Film gekommen, als Filmdramaturgin, was es ja bei der DEFA noch gab. Ich war zwei Jahre lang da, und ich glaube, ich habe sehr wenige Dinge gelernt, die ich bis heute einsetze, auch im Prosaschreiben. Wozu aber diese zwei Jahre gut waren ist, dass irgendjemand, der erste Mensch oder die erste Kommission sagt: das, was du da an Probeszenen geschrieben hast, taugt was. Und du hast damit die Erlaubnis, dich zwei Jahre lang mit deinem Kunststudium auseinander zu setzen. Diese zwei Jahre haben mir dann die Möglichkeit gegeben, herauszufinden: Es ist nicht das Drehbuch, sondern die Prosa.

Wann war das zeitlich?

Zeitlich? Warten Sie… ich kann’s Ihnen genau sagen, ’97 und ’98, das heißt, ich war 26 und 27.

Und 1999 erschien dann „Seltsame Materie“.

Richtig. Im Grunde ist „Seltsame Materie“ das Ergebnis dessen, dass ich vorher Film studiert und festgestellt habe, das ist es nicht. Daraus habe ich eine ganz wesentliche Lehre für mich gezogen. Ich bin ja manchmal in Leipzig oder mache andere Schreibseminare –

Sie meinen am Literaturinstitut Leipzig?

Ja, am Literaturinstitut, oder am LCB [Literarisches Colloquium Berlin] zum Beispiel, oder jetzt gerade in Essen. Was ich begriffen habe, ist, wie wichtig es ist, jungen Leuten die Erlaubnis zu erteilen, sich auf ihre Weise zu äußern. Denen zu sagen „Mach’ dein Ding“ hört sich vielleicht banal an, aber ich halte es für ganz wichtig in der Künstlererziehung. Nicht dass ich denen sage: wie muss man diese Szene machen, denn wenn sie Künstler sind, wissen sie das. Die trauen sich eventuell nur noch nicht oder haben noch nicht den entscheidenden Hinweis bekommen.

Sie haben gerade gesagt, wenn man Künstler ist, weiß man das. Dann halten Sie wahrscheinlich ziemlich wenig vom so genannten Creative Writing.

Ich halte wenig davon zu denken, dass man Techniken beibringen kann. Entweder ich habe das Talent, diese Szene – ich sage immer ‚Szene‘ – zu schreiben, oder ich habe es nicht. Deswegen habe ich diese Seminare immer dazu benutzt, den Leuten gewagte Lebensweisheiten vorzutragen. Und selbst wenn es nur ganz fragwürdige Zitate sind, die, wenn man sie hinterfragt, überhaupt keinen Bestand haben, wie dasjenige, das ich noch eingerahmt in meinem Büro habe: „Als hätte es vorher nichts gegeben, neu und herausfordernd wie die aufgehende Sonne.“ Ich habe festgestellt, dass es sehr hilft. Denn ich kann wirklich keinem vorschreiben, wie er etwas beschreiben soll. Das kann nur er wissen.

Ich frage das natürlich auch deshalb, weil das stark in der jeweiligen Kultur verankert ist. In Deutschland ist Creative Writing nicht sehr hoch angesehen, obwohl es auch hier mittlerweile einen Trend dazu gibt. In den USA hingegen ist es völlig normal.

Deswegen, halte ich – Entschuldigung – einen Großteil der amerikanischen Literatur für unlesbar, weil mein Problem damit ist: Ich weiß nicht genau, was er mir erzählen wird, aber ich weiß genau, wie er es machen wird, und es ist unerträglich.

Sie sind 1989 nach Berlin gekommen?

1990.

Seitdem leben Sie hier. Muss es also Berlin sein für Ihre schriftstellerische Tätigkeit, oder könnte es auch eine andere Stadt sein? Ist Berlin tatsächlich das literarische Zentrum? Wie stehen Sie dazu?

Es ist nicht so, dass ich mich unbedingt auf Berlin versteifen wollen würde, aber gerade im letzten Jahr, das ich komplett in Rom verbracht habe, ist mir klar geworden, dass ich diesen und keinen anderen Ort brauche, um das zu schreiben, was ich schreiben will. Ich habe überall, wirklich überall auf der Welt, an jedem Ort, auch an dem Ort, an dem ich geboren wurde, das Gefühl von irrsinnig irritierender Fremdheit. Ich bin sehr störungsanfällig, und ich arbeite langsam, und ich muss mich dieser Fremdheit erst entledigt haben, bevor ich ein Wort sagen kann. Und Berlin ist der einzige Ort, der mich so wenig stört in meiner Existenz, dass das möglich ist, dass da genügend Luft ist und Raum.

Im Zusammenhang mit dem Stichwort Fremdheit, das Sie gerade ansprachen: Für mich ist das Gefühl des Fremdseins und der Eindruck von Gewalt sehr dominant in all Ihren Geschichten, sowohl in „Seltsame Materie“ als auch in „Alle Tage.“ Könnten Sie diese Themen – Gewalt, Fremdheit – in Bezug zueinander setzen? Ist das für Sie ein Paar?

Ich weiß nicht, ob es ein Paar ist… Tatsache ist, dass beides mein Erbe ist. Das ist das, was ich mitgebracht habe, und deswegen sind die Themen in den ersten zwei Büchern so dominant. Aus dem Nähkästchen geplaudert, im dritten, an dem ich noch arbeite, ist das dann nicht mehr der Fall. Aber insbesondere bei „Seltsame Materie“ musste ich noch diesen Schock verwinden, neunzehn Jahre lang irgendwo gelebt zu haben, wo ich überhaupt nicht hinpasste, und wo ich um mein Leben fürchtete. Und wenn das die ersten neunzehn Jahre im Leben eines Menschen sind, dann wird das bleiben, fürchte ich, bis zum Schluss. Bei „Alle Tage“ ist es eben so, dass im Hintergrund der Geschichte oder der Figur, die erzählt wird, ein Krieg steht. Dann gehört Gewalt einfach zum Thema. Und die Fremdheit der Hauptfigur ist ja auch sehr mannigfaltig. Er ist nicht nur objektiv fremd, also ein Exilant, sondern ist auch ein Charakter, der leider damit geschlagen ist, mit dieser Fremdheit als Konstitution.

In jeder Beziehung.

In jeder Beziehung. Das ist aber auch etwas, was wir ja alle kennen, dieses Camus’sche Moment des Absurden. Wir erleben das alle, in einer Situation zu stehen und sie als irrsinnig absurd zu empfinden. Das ist unser eigenes Moment der Fremdheit, nur ist es bei den meisten, den Glücklichen, dann eben nur ein Moment. Je mehr Pech man hat, umso mehr dieser Momente hat man, oder man ist ganz von ihnen beherrscht, so wie Abel Nema, die Hauptfigur in „Alle Tage.“

Sie haben eben gesagt, Sie hätten in diesen ersten neunzehn Jahren in Ungarn permanent um Ihr Leben gefürchtet. Hing das damit zusammen, dort Teil der deutschsprachigen Minderheit zu sein?

Nicht unbedingt, nein. Es gibt ein paar sehr gewaltsame Gemeinschaften, wo Gewalt in den Strukturen herrscht. Im Grunde kann keiner erklären, wieso das in Dorf A so ist und in Dorf B nicht. Es gibt diese absolut destruktiven Gemeinschaften, wo sich Vorgänge eingeschliffen und dann tradiert haben, was scheinbar auch nicht aufzubrechen ist. So eine Gemeinschaft war das. Das war – die Hölle.

Womit, meinen Sie, hängen diese Gewaltstrukturen zusammen?

Es ist ein sehr katholisches und gleichzeitig sehr kommunistisches Dorf gewesen. Die traditionelle Lebensweise dieser Bauern und sehr armen Leute hat eine Härte mit sich gebracht, für die ich einfach zu zart war. Der Witz ist übrigens, seitdem da kein Kommunismus mehr herrscht, sind die Leute immer noch fiese Säcke, aber es ist nicht mehr so hart, wie es mal war. Irgendwie ist jeder um ein paar Grad aufgetaut, im allgemeinen Umgang. Was mich natürlich irrsinnig empört, weil ich mir sage: natürlich spielt es eine Rolle, in was für einem Staat du lebst, und in was für ökonomischen Verhältnissen, aber es gibt immer diesen Bereich der Gnade, in dem du selber aktiv werden kannst, insbesondere, wenn du dich katholisch oder überhaupt christlich schimpfst.

Das heißt also, dieses Weggehen war schlicht Befreiung. Sozusagen überlebensnotwenig.

Na klar. Aber das hatte ich schon geplant, als ich noch ganz klein war.

Ich möchte noch mal auf das Fremdsein zurückkommen. In der Zeitschrift »Literaturen« hat es 2005 ein Gespräch gegeben über das Fremdsein…

Wenn Sie diesen Round Table damit meinen… war das ein Gespräch über das Fremdsein? Ich weiß es gar nicht mehr.

Ja, die Redaktion hat das so genannt. In diesem Gespräch, zu dem unter anderen auch Wladimir Kaminer und Navid Kermani eingeladen waren, haben Sie gesagt, der einzige Grund, an dem Gespräch teilzunehmen sei, dass Sie eigentlich damit fertig seien, also nach dem Motto: so, das ist jetzt das letzte Mal, dass ich mich dazu äußere. Mich hat erstaunt, dass das hier in Deutschland noch immer ein so schwieriges Thema ist; man versucht geradezu verzweifelt, Autoren zu kategorisieren.

Ja, es ist in Deutschland noch so, und deswegen muss ich Sie zurückfragen, war das tatsächlich übertitelt mit ‚Fremdsein‘? Natürlich hat man uns nicht unter diesem Titel eingeladen, denn da wäre selbstverständlich kein Mensch gekommen.

Ich zitiere aus dem Gespräch: „Ist Fremdsein ein Problem, ein Thema, oder ein Marktvorteil? Als wir sie zu diesem Gespräch über ‚Fremde‘ ‚die Fremde‘ ‚das Fremde‘ ‚die Fremden‘ einluden, reagierten sie alle spontan abwehrend… was für Befürchtungen oder Verdachtsmomente waren da im Spiel?“

Heute würde ich da nicht einmal mehr hingehen. Das ist überhaupt kein lohnendes Thema, wie ich finde. Ich habe das Gefühl, die Deutschen haben ein Problem mit sich selbst. Deswegen müssen wir ständig die so genannten ‚Fremden‘ oder die Nichtdeutschen interviewen und von denen hören, dass die auch von sich selbst entfremdet sind. Das kann man dann an biografischen Punkten festmachen – man ist sich selbst entfremdet oder hat ein Fremdheitsgefühl, weil man nicht an dem Ort lebt, an dem man geboren wurde, oder weil man noch eine weitere oder noch zwei weitere Muttersprachen hat. Aber natürlich funktioniert Fremdsein überhaupt nicht auf diese Ebene. Tut mir leid, aber es ist nicht so! – Ich werde Ihnen jetzt eine ganz niederschmetternde Anekdote dazu erzählen: Ich saß mit einem Journalisten zusammen, und zwar mit dem Feuilletonchef einer großen deutschen Tageszeitung. Dieser Mensch sprach im Zusammenhang mit post-diktatorischen Sprechweisen darüber, auf welche Weise die ostdeutschen Autoren sich zu äußern versuchen. Und er sagte, es gibt da ja viele Versuche, die teilweise auch sehr redlich sind. Die Ostdeutschen versuchen dies und das, und auch die Ausländer – Verzeihung, sagte er zu mir – schenken uns ja sehr tolle Sachen, die versuchen auch ihr Bestes. Aber ich sage Ihnen dennoch, dass die deutsche Literatur sich erst erneuern wird, wenn es einem westdeutschen Autor gelingt, etwas Originelles zu schaffen. Woraufhin mir natürlich die Kinnlade bis zum Tisch runterklappte. Ich meine, dieser Mensch ist ein Meinungsmacher, er ist der Feuilletonchef einer bedeutenden Zeitung! Aber es läuft tatsächlich auf dieser dämlichen Schiene. Und das ist sehr traurig.

Also ist das kein Einzelfall?

Ich glaube nicht. Es ist ja nicht einmal so, dass man es böse meint. Aber es ist deswegen traurig, weil man – also ich – sich vier Jahre lang den Allerwertesten abarbeitet, man steht mit seinem ganzen Leben hinter jedem einzelnen Satz, und dann heißt es am Ende: So, Sie sind also Ausländerin. Was das anbelangt, ist es mir noch ganz gut ergangen, denn ich habe in meinen schlimmsten Albträumen erwartet, dass die Rezeption so sein würde. Ich bemühe mich, einen komplexen Roman vorzulegen, in dem es nicht nur um Ausländertum geht, aber jeder wird sich ausschließlich darauf stürzen… Und das ist nicht passiert, muss ich sagen. Wenn man sich die großen Feuilletons anguckt, hat sich jeder etwas anderes rausgepickt. Immerhin. Das war für mich eine große Erleichterung und Befriedigung.

Sie haben auch gesagt – das fand ich sehr schön – Ihr Ziel sei, dass nach dem ersten Roman niemand mehr fragt, wer das eigentlich geschrieben habe; ob es also jemand mit einem deutschen Pass oder ohne einen sei.

Wobei natürlich in dem Fall der Roman ein spezifisches Thema hat und sich mit diesem Fremdsein beschäftigt. Dann darf auch danach gefragt werden. Aber neulich zum Beispiel saß ich auch wieder auf einem Podium, und die wollten auch wieder Ausländer dabei haben. Da sie wussten, dass bei diesem Titel kein Autor mehr auftaucht, haben sie „die Sprache“ als Thema gewählt. Nur, wir vier, die wir da hinkamen, wussten ganz genau, was im Busch ist. So haben wir versucht, dennoch penetrant von der Bedeutung der Sprache für den Schriftsteller und für das öffentliche und private Reden überhaupt zu sprechen. Während unser Moderator ständig versuchte, darauf zurückzukommen: Aber ist das deswegen so bei Ihnen, weil Sie noch eine andere Muttersprache haben? Das ergab am Ende eine ganz witzige Choreographie. Witzig oder frustrierend, je nachdem, wie man drauf ist.

Man könnte natürlich auch sagen – ich versuche jetzt, das Positive zu sehen – dass man denkt, endlich gibt es mal andere Stimmen in der Literatur. Ihre Anekdoten sprechen zwar nicht unbedingt dafür, aber man könnte es ja auch als ein wenn auch ungeschicktes Sich-Öffnen verstehen.

Ja, ich glaube schon, dass die deutsche Gesellschaft und die intellektuelle Öffentlichkeit sich sehr bemühen und darin auch ein Heilsversprechen sehen. Wir sind offen, wir sind tolerant, wir interessieren uns, das kann uns nur vorwärts bringen. Aber andererseits ist es verbunden mit dieser Wehmut, nach dem Motto: wir sind ja darauf angewiesen, denn aus uns selbst kommt irgendwie nichts. Und ich versuche dann immer, den Leuten zu erklären, dass das niederschmetternd ist. Ihr glaubt von euch, das, was ihr selber habt, sei nicht interessant genug. Ich habe immer mal wieder Gespräche mit „kerndeutschen“ Autoren, die von dieser Angst umgetrieben werden, ihr Eigenes sei nicht so interessant wie das Andere. Aber man hat nur das Eigene! Also finde dich damit ab, mach’ was daraus. Ich glaube schon, da steckt im Hintergrund irgendwo eine Selbstkastrierung. Uns instrumentalisiert man durchaus dazu, dieser ein wenig zu entkommen. Meinetwegen! Gerne. Aber ich möchte, dass ihr euch dann irgendwann zusammenreißt und es dann irgendwann auch mal gut ist.

Ist diese Haltung eine, die Sie eher in der kritischen Rezeption sehen, oder sind das Strömungen, die man auch unter Autoren selber spürt?

Absolut, auch unter den Autoren selber. Im übrigen, selbst wenn ich nicht so firm darin bin, was Grass, Enzensberger, Walser und andere alles verbrochen haben in den letzten paar Jahrzehnten, glaube ich schon, dass die durchaus dafür verantwortlich sind, dass es auf einer gewissen Schiene diskutiert wird. Wie man sich als Schriftsteller in Deutschland äußern darf, ist nicht so frei oder bunt. Es gibt, glaube ich, ein ‚korrektes Verhalten‘ für deutsche Schriftsteller, und damit kommt man selbstverständlich nicht weiter, ab einem gewissen Punkt. Andererseits kenne ich aber auch viele Kollegen meines Alters, die sich wirklich damit abquälen, wie sie sich korrekt äußern können.

Wo verorten Sie sich selber im Literaturbetrieb?

Gute Frage. Das ist etwas, was ich überhaupt nicht beurteilen kann, weil ich mich immer wundere, dass überhaupt ein Platz für mich vorhanden ist. Ich fühle mich so unähnlich, auch wenn es zum Beispiel Versuche gibt, mich den anderen Ausländern zuzuordnen. Was nicht gelungen ist: mich den anderen Frauen zuzuordnen. Das ist super. Und ich glaube, auch die anderen Frauen haben es geschafft, dass man sie einander nicht zuordnen kann.

Ich wollte noch eine Frage stellen zu dem, was ich globalisierte oder professionalisierte Autorschaft nenne. Ich habe den Eindruck, die Autoren hier werden ziemlich eingespannt, sich in irgendeiner Weise als Kultur-Botschafter zu präsentieren. Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist…

Weniger, wahrscheinlich bin ich zu sehr „Ausländer“….

Ich glaube, es hat weniger mit Nationalität zu tun als damit, wer aktuell im Gespräch ist. Das Goethe-Institut stellt zum Beispiel vier oder fünf Autoren zusammen und schickt sie einmal durch die Welt. Warum macht man das mit?

Weil das die am besten organisierte und für mich billigste und sicherste Alternative ist, einmal eine Woche durch Rumänien oder die Ukraine zu reisen und es für mich persönlich oder meine Arbeit gebrauchen zu können. Ich mache das nicht, weil ich denke, dass das mexikanische Volk auf mich gewartet hat. Ich will da rausholen, was ich herausholen kann. A pro pos Mexiko, hier ist eine sehr lustige Szene: 2001 sprang ich als Ersatzfrau für Judith Hermann ein, die – das war unmittelbar nach dem 11. September – Flugangst hatte. Ich bin dann mit Tim Staffel, Peter Schneider und Brigitte Burmeister dort hingefahren. Wir waren alle zu einem Essen beim mexikanischen Schriftstellerverband eingeladen, der da etwas bedeutet. Jeder mexikanische Schriftsteller ist im Schriftstellerverband, und das sind Intellektuelle, die im öffentlichen Leben auch eine Rolle spielen. Das ist in Deutschland natürlich anders, außer bei Peter Schneider, der zu einer anderen Generation gehört, die das noch für sich in Anspruch nimmt. Wir wurden nach unserer Meinung zum 11. September gefragt und da war ganz deutlich ein Generationsunterschied zu sehen. Tim Staffel und ich waren der Meinung, wieso sollte ich mich jetzt zum 11. September äußern? Ich bin genauso verwirrt wie Sie und genauso unwissend und schockiert, und alles, was ich Ihnen dazu sagen kann, ist genau das. Als Schriftsteller hat man die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen. Anders Peter Schneider: er hat versucht, diese Rolle auszufüllen und den Leuten zu erklären, was es auf sich hat mit dem 11. September. Ich glaube, wir gehen in unserer Generation gelassener damit um, vielleicht wohl wissend, dass man nichts anderes sein kann als man ist. Ich kann mir nicht aufbürden, mich auf täglicher Basis zu politischen Fragen zu äußern. Das ist einfach eine Konstitutionsfrage; das würde alle meine Kraft absorbieren, und ich würde keine Bücher mehr schreiben. Und das wäre dann sinnlos.

In dem Zusammenhang schließt sich eine weitere Frage gut an: was ist der Fluchtpunkt Ihres Schreibens? Worauf läuft es hinaus? Ist es ein aufklärerisches Projekt; hat es etwas zu tun, damit, dass man die Welt in irgendeiner Weise verstehen will? Oder kommt es eher aus dem, was man selber verarbeiten will?

Ich glaube, es ist wohl eher das letztere. Wenn ich formulieren müsste, worum es in meinen Büchern geht, würde ich immer sagen: um den Zustand der Welt. Das ist sehr allgemein formuliert, aber was anderes kann ich dazu nicht sagen. Ich habe ein sehr schönes Zitat dafür: „Kunst hat kein Ziel, sondern einen Grund.“ Ein Ziel zu formulieren – ich könnte das machen, aber es wäre beliebig. Abgesehen davon wäre es ganz schön schade, wenn in einem Buch nur das drin wäre, was ich hinein getan habe, oder nur das, was ich als ‚Ziel‘ formuliert habe – das wäre womöglich zu wenig. Es gibt immer diesen unerklärbaren und unfassbaren Bereich, der in einem gelungenen Kunstwerk da ist, der entstanden ist, obwohl ich ihn nicht gemacht habe. Verstehen Sie, was ich meine?

Ja, ich verstehe: weil es sonst wahrscheinlich auch nicht Literatur wäre.

Es ist das, von dem man früher versucht hat, es mit der Gnade zu umschreiben: jemand hat seine Gnade dazugegeben, und deswegen ist es da. Ich vermute, etwas profaner – also profan im Bezug darauf, dass es keine göttliche Gnade ist – dass es einfach eine Funktion ist, die Sprache hat. Sprache kann das. Ein Sprachkunstwerk besteht ausschließlich aus Sprache, und diese Sprache kann etwas herstellen, was zusätzlich zu dem da ist, was ich selbst erfassen oder bewusst herstellen kann.

Ingo Schulze meint, er könne bestimmte Themen nur auf eine bestimmte Art und Weise verarbeiten. Er lehnt sich dabei an Döblin an, der ein großes Oeuvre hinterlassen hat, in dem unterschiedlichste Stile versammelt sind. Wenn man zwei Bücher von Döblin nebeneinander liest, hat man fast den Eindruck, sie seien nicht vom gleichen Autor. Schulze hat gesagt, er könne erst dann über etwas schreiben, wenn er den passenden Stil gefunden habe. Wie ist das für Sie?

Ja, natürlich, weil im Grunde nichts anderes da ist als das. Wie ich etwas erzähle, ist die Erzählung. Also ich denke tatsächlich auch, dass jedes Buch seine eigene Sprache hat und ich sie finden muss. – Aber noch mal dazu, dass man einen „Stil“ finden muss: Ich glaube, ich bin etwas irritiert durch das Wort, denn als Stil bezeichnen wir doch die Konstanten in der Ausdrucksweise eines Autors. Innerhalb dieses Stils gibt es ja dann noch die Variablen, die ich dann pro Buch benennen würde. So dass es zwar Unterschiede gibt zwischen den Büchern, die aber nicht so riesig groß sind, dass ich wie im Falle von Döblin denken könnte, das kommt von einem komplett anderen Autor.

Aber manchmal sind sie eben sehr groß.

Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht, weil ich eben nur zwei Bücher habe. Das dritte ist noch nicht fertig, und deswegen weiß ich nicht, wie groß der Unterschied zu den anderen sein wird. Ob es immer noch erkennbar von der Autorin von „Alle Tage“ und „Seltsame Materie“ ist oder nicht mehr.

Ist das auch ein Roman?

Ja… auch wieder so ein Riesending, wie „Alle Tage.“ Das Universum und der ganze Rest.

Schreiben Sie auch Tagebuch?

Nein, da bin ich traumatisiert: Kindheitsgeschichte. Was ich jetzt in Rom gemacht habe: Ich habe einen befreundeten Schriftsteller, mit dem ich mir a) die Träume schreibe und b) haben wir angefangen, jede Woche einen Brief zu schreiben, als ich nach Rom kam. Das fungiert auch als eine Art Tagebuch. Jetzt, nachdem ich zurückgekehrt bin, habe ich vorgeschlagen, weißt du was, wir leben zwar in derselben Stadt, aber was soll’s? Machen wir einfach weiter damit. Warum? Wenn ich wieder lese, was ich in Rom aufgeschrieben habe, kann ich tatsächlich daraus Erkenntnisse gewinnen.

Speziell auf Rom bezogen: Stellt man sich dann in eine bestimmte Reihe? Rom ist ja ein Sehnsuchtsort und auch ein literarisches Thema für viele Schriftsteller.

Ach so, nein. Das ist kein Rom-Buch, oder Rom-Tagebuch. Nein. Die Vereinbarung war zu beschreiben, was am Tag X passiert ist, egal, wie banal es ist. Es ist im Grunde eine ganz prosaische Beschreibung des Tages. Wenn ich der Typ dazu wäre, mich zu stundenlanger Sinniererei über Rom als solches hinreißen zu lassen, dann hätte ich zweifellos auch das getan, aber das ist mir fremd. Ich kann das nicht. Ich komme mir dabei absolut lächerlich vor. Ich meine, ich bin Terézia Mora, ich habe ein Stipendium in der Villa Massimo – und? Was soll’s? Das berechtigt mich weder noch verpflichtet es mich dazu, mich hinzustellen und entweder einen auf Goethe oder einen auf… wie heißt der? Auf Rolf Dieter Brinkmann zu machen.

Vielleicht ist das ja eher etwas, was sich im Nachhinein ergeben wird. Vielleicht kommt’s in fünf Jahren so, dass Sie meinen, Sie könnten den Briefwechsel veröffentlichen…

Ja, das ist interessant, denn ich hatte zum Beispiel ein zehnwöchiges Stipendium in New York, wo ich auch gesagt habe, diese zehn Wochen haben nicht dazu gereicht, mein mediales Bild von New York aufzubrechen. Sie kommen hin und haben das Gefühl, Sie bewegen sich im Film: Sie kennen das alles schon, während Sie überhaupt nichts kennen, Sie wissen überhaupt nichts. Während der Arbeit an „Alle Tage“ habe ich gewisse Sachen begriffen, die ich dort erlebt hatte. Ich habe Elemente dessen, was ich über die Welt in New York erfahren habe, in den Roman integriert, aber so, dass es nicht als New York sichtbar ist. Das muss es ja auch nicht. Das heißt, der Aufenthalt hatte durchaus seinen Sinn, aber es läuft halt nicht mit dem Etikett auf der Stirn herum: Das habe ich in New York erlebt.

Spannend. Gut, ich habe Sie viel gefragt…

Sie haben jetzt alles?

Alles hat man nie, aber eine Menge. Vielen Dank für das Gespräch.