Briefwechsel
freitext – TRANSIT
Liebes TRANSIT,
wir werden dieses Jahr 10.
Wir haben dann und wann versucht, Leuten zu erzählen, wer wir sind, aber die haben uns gefragt, wozu? Die haben gesagt, jaja, das ist interessant, aber wo kommt ihr eigentlich her? Und wir sagten – Hannover. Wir sagten, ist ne Stadt in Niedersachsen. Wir sagten – ganz ehrlich. Und sie fragten weiter: und ursprünglich? Wir sind nach Berlin gegangen, weil wir dachten, da werden uns die Leute glauben oder es wäre ihnen egal, wo wir herkommen, und stattdessen wäre wichtig, was wir zu sagen hätten, aber hier gibt es andere Probleme, hier stoßen die Leute sich an Worten, wie „transkulturell“ und sagen, wir sollten erst einmal deutsch lernen, bevor wir an die Öffentlichkeit gingen. Wir sagten, das istunser Deutsch.
Vielleicht müssen wir das kurz erklären. Das sagen nicht irgendwelche Leute. Wir haben das von Amtswegen bescheinigt bekommen. Wir wollten einen Verein gründen. Und in unserer Satzung mussten bestimmte Worte stehen.
Was wir reingeschrieben haben: freitext ist ein transkulturelles Kultur- und Gesellschaftsmagazin, Ziel ist die Plattform von nicht Mainstream Positionen von Autor_innen und Künstler_innen zu sein. Wir sind politisch. Wir sind kritisch. Unsere Anliegen werden selten repräsentietiert.
Daraufhin meinte das Amt, ah, ihr wollt was für die Völkerverständigung tun.
Wir haben darüber nachgedacht und eine Versammlung einberufen und über Völker diskutiert – oder uns über Völker verständigt. Jedenfalls haben wir ein Antwortschreiben aufgesetzt. Das ging ungefähr so:
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
nach langen und intensiven Überlegungen – nicht zuletzt nach der Konsultation von unseres Gleichen und Anderen und Wichtigeren – kommen wir zu dem Schluss, dass wir Ihnen nicht mit der zur Bescheinigung angedachten Vv. dienen können.
Kurzum, wir sind ans Theater gegangen. Wir haben uns einen Kooperationspartner gesucht, der mit Völkerverständigung und anderen überholten Begriffen nicht arbeiten wollte. Stattdessen macht das Ballhaus Naunynstraße Stücke und arbeitet viel mit Autodidakten. So wie uns. Wir schreiben Theaterstücke für das Haus und machen unsere Partys bei denen im Keller. Unser nächstes Projekt ist eine Literaturwerkstatt, wir arbeiten mit „postmigrantischen“ Autor_innen zu Politik und Literatur. Wir laden Theatermacher_innen ein und machen mit ihnen Theater der Unterdrückten und drucken das alles ab.
Kommt vorbei.
Spätestens zu unserer Geburtstagsfeier im Oktober seid ihr eingeladen.
Kaum einer glaubt, dass es uns bald seit 10 Jahren gibt. Die Leute sagen, so ein Magazin hält doch höchsten ein, zwei Nummern durch. Doch so langsam haben wir den Eindruck, dass einige verstehen, wo wir herkommen und nicht mehr fragen müssen. Und viele gehen mit, da wo wir hin wollen.
Als nächstes in den Kopf – so heißt die aktuelle Ausgabe: Kopfkontrolle. Wir wollen in Köpfe rein. Es geht um Kopf/Welten, Konstruktionen, Behauptungen, mit denen wir tagtäglich umgehen als wären sie Realität. Es geht auch ganz konkret um Köpfe, die lange Zeit hier in Berlin, in der Charité lagerten und jetzt zurück in Namibia sind.
Es gibt viele verschiedene Wege, in einen Kopf zu gelangen. Mit Baseballschläger, mit Zunge. Mit Megafon. Und andere. Wir schauen uns die Bilder in den Köpfen an und trennen uns von manchen und behalten andere. Macht ihr mit?
Wir besetzen Theater und lesen Namen vor von den Opfern des hier jüngst aufgedeckten NSU (Nationalsozialistischer Untergrund). Die Medien hier zu Lande nannten die Verbrechen „Dönermorde“. Und als es Protest gab, wurde es einfach zum Unwort 2011 umgemünzt. Wir schleuderten das Wort ins Publikum des für kurze Zeit besetzten Theaters und Leute beschwerten sich. So bilden wir hier unsere autonomen Zonen auf Zeit.
Wir hören oft: Die Zeiten des politischen Schreibens sind vorbei. Das große Thema: die Langeweile.
Uns ist nicht langweilig. Und für uns ist alles politisch. Deshalb auch und gerade das Schreiben. Wir versuchen Analysen in unserer Rubrik für Essays und suchen nach Bildern in Emotion. In Film, Literatur und Wissenschaft suchen wir nach Verbündeten. In diesen Zeiten in Europa kann man sie gut gebrauchen. Wir schauen uns um, und es wird eng – Dänemark, Ungarn, Weißrussland, Frankreich, Holland, Schweiz, Österreich… Und vor allem – Deutschland lässt unsere Köpfe zusammenfallen. Denn hier leben wir, hier treffen wir aufs Draußen. Manchmal verbarrikadieren wir uns – nur um zurückzukehren.
Hey Transit, tell us about yourself!
freitext
Dear freitext,
We are delighted to feature translated and expanded selections from your recent issue in our journal, and are also grateful for the opportunity to give an account of ourselves in your publication.
Fortunately, publishing our journal has never required agonizing over the wording of bylaws, but only acquiring an international standard serial number (ISSN 1551-9627) and adhering to the standards of academic publication. Although we are continually reflecting on our mission, the focus of our journal remains on migration, mobility, and multiculturalism in the German-speaking world. We understand these concepts themselves to be always in transit—both in motion and in transition. We definitely share your well-founded suspicion of outmoded concepts such asVölkerverständigung, and are equally skeptical of the assumptions underlying buzzwords like ‘intercultural dialogue.’ Nevertheless, we remain excited about the prospects of communication and exchange—particularly in a rapidly changing media environment.
A project of the Department of German at the University of California, Berkeley, our journal is devoted to providing a vibrant, multilingual forum for critical discussion. We publish scholarly articles, translations, book reviews, videos, and experiments in new media. Online publication enables us to distribute our content free of charge to an international readership, and gives us complete control over the publication process. Hypertexts allow authors to incorporate multimedia into their scholarship, thereby eliminating the need for expository description. Readers can interact with content in various ways, explore connections between pieces, and distribute information in their own circles. Past issues of our journal can be easily accessed, creating a flexible archive whose contents can take on a new significance in the present.
Our journal not only diverges from the conventional format of academic publishing, but also challenges the traditional subject matter, scope, and parameters of our discipline. “Goodbye, Germany? Migration, Culture, and the Nation-State” was the topic of our journal’s first issue in 2005. This issue assessed the impact of migration on the concept of the nation-state and interrogated the use of language and culture in rethinking the boundaries of German Studies. Subsequent issues have continued to investigate topics such as translation and cultural transfer against the backdrop of major changes in the American academy. Indeed, job positions are now advertised for specialists in Migration Studies, and conferences feature an increasing number of panels on topics like multilingualism, transnationalism, and cosmopolitanism.
Naturally, we have been pleased to witness the rapid growth of our field, and are now considering its expansion in tandem with recent celebrations and commemorations of migration history. Our current thinking is about the relationship between public memory and participatory media. What will the future hold for histories of migration, mobility, and multiculturalism? What are the archives of migration, and how do changing mediascapes and new forms of communication challenge or destabilize dominant modes of remembrance? One of our main convictions is that the study of transit from a variety of historical and theoretical angles, as well as from interdisciplinary and comparative perspectives, can produce insights into the present and indicate possibilities for change in the future.
We hope that our correspondence and collaboration will indicate points of overlap between academic discourse and public interventions, and also remind readers of the remarkable affinities that already exist between innovative publications halfway across the world.
Sincerely,
TRANSIT
transitjournal@berkeley.edu